Personen beschreiben – aber wie viel ist eigentlich nötig?

Wenn ich schreibe, stolpere ich immer wieder über dieselbe Frage: Wie beschreibe ich meine Figuren? Soll ich jedes Detail festhalten – ob jemand groß oder klein ist, dünn oder kräftig, alt oder jung? Früher, vor 30 oder 40 Jahren, war das fast Pflicht. Da las man Beschreibungen, die so präzise waren, dass man schon beim ersten Auftritt wusste, wie die Figur von Kopf bis Fuß aussah.

Aber ich merke, dass ich mich damit oft schwer tue. Natürlich könnte ich sagen: „Hanna, 63 Jahre, grau melierte Haare, mittelgroß, kräftige Statur.“ Doch sobald ich das tue, habe ich das Gefühl, meinem Leser etwas wegzunehmen.

Warum? Weil jeder Mensch, der meine Geschichte liest, seine eigene Fantasie mitbringt. Wenn ich nur schreibe: „Hanna, 63“, entsteht im Kopf des Lesers automatisch ein Bild. Vielleicht erinnert Hanna an die Nachbarin von früher, vielleicht an eine Lehrerin, vielleicht an eine Tante. Jeder Leserin sieht eine andere Hanna – und genau das finde ich faszinierend.

Wenn ich hingegen jedes Detail festlege, lenke ich diese Fantasie in enge Bahnen. Ich schreibe das Bild quasi vor. Und ehrlich gesagt: das möchte ich gar nicht. Ich finde es viel spannender, wenn der Leser oder die Leserin zwischen den Zeilen die Möglichkeit bekommt, die Figuren selbst zum Leben zu erwecken.

Natürlich setze ich hin und wieder einen Akzent: ein auffälliges Lächeln, eine besondere Art zu sprechen oder eine kleine Eigenart in der Gestik. Aber das sind für mich eher Andeutungen, kleine Hinweise, die genug Raum lassen für die Vorstellungskraft der anderen.

Am Ende bin ich überzeugt: weniger ist mehr. Für mich ist es wichtiger, dass meine Figuren durch ihr Handeln, ihre Entscheidungen und ihre Gefühle lebendig werden – nicht durch eine Liste äußerlicher Merkmale.

Darum halte ich meine Beschreibungen bewusst knapp. Zwei Stichworte, vielleicht ein kurzer Eindruck – und dann lasse ich die Fantasie der Leserinnen und Leser arbeiten. Denn ich glaube, genau da beginnt die wahre Magie einer Geschichte.


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